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Der Stundensatz als kleines Problem
Als ich vor über 10 Jahren in die Selbstständigkeit gestartet bin, hatte ich ein kleines Problem: Ich wusste nicht, wie man seinen Stundensatz festlegt. Da ich davor in einem Verlag gearbeitet hatte, waren mir nur die Preise bekannt, die dieser Verlag mit seinen Grafikern, Textern, Lektoren und Korrektoren vereinbart hatte. Ob diese Preise „allgemeingültig“ (oder vielleicht ein bisschen zu niedrig) waren, wusste ich aber nicht. Wie mir geht es heute auch noch vielen: Vor allem Berufsanfänger stehen vor der Frage, wie sie ihre Preise wirtschaftlich sinnvoll kalkulieren sollen. Viele sind gut ausgebildete Akademiker, haben aber zu Beginn der Selbstständigkeit (noch) kein buchhalterisches und wirtschaftliches Wissen.
Zum Glück veröffentlichten damals einige Lektorinnen und Lektoren ihre Seitenpreise und Stundensätze im Internet. Oft wurde dabei auf eine Honorarempfehlung des Verbands der Freien Lektorinnen und Lektoren hingewiesen. Auch heute findet man im Internet Lektorinnen und Lektoren, die sich – 14 Jahre nach der letzten Aktualisierung und sogar der expliziten Rücknahme dieser Empfehlung – auf diese berufen.
Eine mögliche Lösung: Honorarempfehlungen!?
Der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren hatte für das Jahr 2002/2003 eine „Honorarempfehlung“ herausgegeben (mit dem Hinweis, dass diese nicht bindend sei und jeder eigenverantwortlich entscheiden könne, höhere oder niedrigere Stundensätze anzusetzen). In späteren Aktualisierungen wurde anhand einer „grob repräsentativen Beispielrechnung“ zu zeigen versucht, welche Kosten Selbstständige mit einem Stundensatz x refinanzieren müssen. So wurde probiert, den Mitgliedern wirtschaftliches Handeln näherzubringen und sie für mögliche Folgen von Dumpingpreisen (zum Beispiel diese Altersarmut, von der man andauernd hört) zu sensibilisieren.
Nachdem der Verband die Honorarempfehlungen zurückgezogen hat bzw. keine Neuauflagen mehr veröffentlicht, ist folgendes auf der Website zu lesen:
Zitat 1: „Wer freiberuflich arbeitet, kann nur etwa die Hälfte der geleisteten Arbeitszeit tatsächlich fakturieren“
Das steht in dem obigen Zitat, aber was heißt das eigentlich? 50 Prozent der geleisteten Arbeitszeit werden fakturiert, also den Kunden in Rechnung gestellt – 50 Prozent der Arbeit werden nicht bezahlt.
Diese unbezahlten 50 Prozent werden aber trotzdem hart gearbeitet: Kundengewinnung, Angebotserstellung, Rechnungsstellung, Weiterbildungen, Marketing, Behebung von Computerproblemen, und anderen organisatorischen Aufgaben. In dieser Zeit sind Freiberufler ihre eigene IT-Abteilung, Marketingabteilung, das Controlling und Sekretariat.
Wie hoch ist die fakturierbare Arbeitszeit bei Selbstständigen?
Jedes Jahr gibt es ungefähr 260 Wochentage und durchschnittlich 10 Feiertage, die auf einen Wochentag fallen. Das bedeutet, es gibt maximal 250 Arbeitstage. Maximal, weil von diesen Tagen (wahrscheinlich) noch Krankheitstage – im Bundesdurchschnitt 2023: 20 Tage – und (hoffentlich) Urlaubstage – im Bundesdurchschnitt: 30 Tage – abgezogen werden müssen.
Von den 250 Arbeitstagen bleiben also nach Abzug von Krankheits- und Urlaubstagen noch ungefähr 200 Tage übrig.
Fertig? Noch nicht ganz.
Aus Zitat 1 wissen wir, dass durchschnittlich nur 50 Prozent der Arbeitstage in Rechnung gestellt werden können. 50 Prozent von 200 Tagen sind also 100 Tage, die der Selbstständige an Kunden verkaufen kann.
Auf Stunden heruntergebrochen ergeben sich also 100 Tage x 8 Stunden = 800 Stunden pro Jahr. Und das jetzt einfach mit einem Stundensatz multiplizieren, und zack, wir haben unser Jahreseinkommen! Aber welchen Stundensatz sollen wir nehmen?
Zitat 2: „Das Dreifache des Bruttostundenlohns“
Laut statista.de lag der durchschnittliche Bruttoverdienst von Männern in Deutschland im Jahr 2023 bei 25,30 Euro die Stunde (Stand 27.02.2024). Das Dreifache bedeutet für den durchschnittlichen Soloselbstständigen also ca. 75,90 Euro die Stunde.
Für Spezialisten mit überdurchschnittlichem Know-how oder Nischenwissen müsste der Stundensatz nach den Gesetzen der Marktwirtschaft höher sein. Eine Spezialisierung (das eigene Profil schärfen) kann also nicht schaden.
Doch keine Lösung: Honorarempfehlungen …
Im Jahr 2008 veröffentlicht der Verband der freien Lektorinnen und Lektoren eine aktualisierte Version der „Honorarempfehlung für freiberufliche Lektoratsarbeit“ aus dem Jahr 2002/2003.
Für ein Korrektorat werden im Jahr 2008 (ab) 32 Euro/Stunde empfohlen, für ein Lektorat (ab) 42 Euro/Stunde. Für ein Werbelektorat und andere Spezialformen wie die Umbruchkorrektur, die Schlusskorrektur und die Schlussredaktion werden (ab) 53 Euro/Stunde empfohlen.
Als Mindestpreis für die Normseite in einem Korrektorat werden damals ca. 3,20 Euro genannt, für das Lektorat 5,30 Euro. Da bei der Honorarempfehlung hauptsächlich von Verlagen und Unternehmen als Auftraggeber ausgegangen ist, handelt es sich bei den Preisen natürlich auch um Netto-Preise.
Und 7 Jahre später, am 24. Juli 2015, erscheint im Börsenblatt ein Text mit dem Titel „Freie Lektoren unterbezahlt“.
Vielleicht so: Inflationsausgleich und öffentlich verfügbare Zahlen?
(Günstige) Butter kostet mit 1,69 Euro im Schnitt heute 54 Prozent mehr als 2008 (damals: 1,10 Euro) und auch das Briefporto wurde um 54 Prozent auf aktuell 85 Cent (damals: 55 Cent) erhöht.
Nimmt man die Preissteigerung von 54 Prozent jetzt als die tatsächliche durchschnittliche Teuerungsrate in den letzten 16 Jahren an, dann würde man in einer an die Inflation angepassten, aktualisierten Version der Honorarempfehlung des VFLL vielleicht diese Werte lesen:
- Korrektorat ab 49,28 Euro/Stunde
- Lektorat ab 64,68 Euro/Stunde
- Spezialformen ab 81,62 Euro/Stunde
Für die Normseite würde das vielleicht das bedeuten:
- Korrektorat ab 4,93 Euro/Normseite
- Lektorat ab 8,16 Euro/Normseite
- Spezialformen ab 16,67 Euro/Normseite
Diese Hochrechnung deckt sich mit den Honorarempfehlungen des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler (BfK) aus dem Jahr 2022: Hier werden für die praktischen Tätigkeiten „Lektorat“ 50–75 Euro/Stunde und für „Text- und Bildredaktion“ 75–95 Euro/Stunde angegeben.
Die mediafon Selbstständigenberatung GmbH, eine Tochterfirma der Gewerkschaft ver.di, nennt diese Preise sogar schon im Jahr 2008 für den Berufsverband Text und Konzept (ehemals Texterverband) für „Korrekturlesen und Lektorat je Stunde 50–80 Euro (Durchschnitt 70 Euro)“. Folgendes Zitat findet man dort aus dem Jahr 2022: „Der Texterverband empfiehlt einen Stundensatz von 90 Euro – und selbst der beschert im Jahr nach allen Abzügen und realistischer Zeitplanung kein Vermögen.“
„Kein Vermögen“ klingt aber doch um einiges besser als „unterbezahlt“.
Am besten so: Den eigenen Stundensatz berechnen
Jeder Freiberufler hat andere Bedürfnisse. Einheitliche Vorgaben durch einen Verband oder der Vergleich mit anderen Freiberuflern bringt oft nicht viel. Darum ist es wichtig (und einfach) den eigenen Stundensatz festzulegen. Das geht entweder mit Block und Bleistift oder mit einem Stundensatzrechner wie dem der Allianz deutscher Designer (AGD). Laut Datenschutzerklärung werden bei der Nutzung des Tools keine Daten gespeichert und keine Cookies gesetzt. Alles sei anonym.
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Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Erfolg für Ihre Projektkalkulation!
Mathias Stolarz